Kirche St. Martin Zimmern

  • Von: Karl Maier
St. Martin in Zimmern, eine alte Marienwallfahrtskirche

Der „Zimmerer Waldbrief“ von 1389, die Erneuerung eines undatierten, damals sicher hundert Jahre alten Schenkungsprotokolls, liest sich wie die Gründungsurkunde einer grundherrlichen Eigenkirche: Ein reicher Edler namens Eppo stiftet dem Kirchspiel St. Martin in Zimmern ein Gotteshaus aus Holz, eine reiche Ausstattung und den sog. Freier Leute Wald, womit der künftige Unterhalt der Pfarrei bestritten werden soll. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bleibt St. Martin der religiöse Mittelpunkt der drei früheren Dörfer Zimmern, Urloffen und Rüchelnheim, die das Kirchspiel bildeten. Trotz vieler wohl begründeter Theorien hat man noch nicht herausgefunden, welche reale Person sich hinter dem Namen Eppo verbirgt, die Tradition der Zimmerner Anniversarien reiht ihn in das Geschlecht der Zähringer ein.

Als Baujahr der spätgotischen Kapelle nimmt man 1517 an, obwohl Turm, Langhaus und Sakristei zu unterschiedlichen Zeiten errichtet wurden. Am Gebäude standen verschiedene Jahreszahlen. Eine Vorgängerkirche wird außer im Waldbrief bereits 1300 belegt. Die barocken Altäre des heutigen Bestandes stellte der Offenburger Künstler Franz Leonhard Vivell um 1730 her.

Ebenfalls uneins sind sich die Forscher über die Frage, wann sich eine Marienwallfahrt mit dem Martinspatrozinium verbunden hat. 1423 hatte ein Provinzialkonzil in Köln ein eigenes Fest zu Ehren der Schmerzensmutter eingeführt. Daraus entwickelte sich eine große marianische Bewegung, die auch in Süddeutschland zahlreiche Anhänger fand. 1502 finden wir den Kult in Straßburg. Von dort, der Bischofsstadt, könnte er nach Zimmern gelangt sein.

Es gibt dafür jedoch keine Belege. Wir können uns sicher dem Urteil des Urioffener Pfarrers und Lokalhistorikers Wilhelm Weiß anschließen, der schreibt: „Über die Wallfahrt liegt bei den hiesigen Pfarrakten gar nichts. Daß aus alter Zeit her Maria ihrer Schmerzen wegen...hier besonders verehrt wird, das beweisen die in der Kirche teilweise aus alter Zeit herstammenden Tafeln.“ Auch das Gnadenbild der Wallfahrt, eine Pieta, deren Stil von spätgotisch bis barock beschrieben wird, führt uns nicht weiter. Schriftlich greifbar wird die Wallfahrt erst im ausgehenden 18. Jahrhundert, in einer Zeit, in der St. Martin immer mehr Funktionen an die Johanneskirche in Urloffen abgeben musste und das Zimmerner Gotteshaus durch die Revolutionskriege zugrunde gerichtet wurde.

Aber obwohl St.Martin, durch viel Kriegsgräuel entwürdigt, 1800 profaniert worden war, kamen Pilger von nah und fern, in ein Gotteshaus, in dem nach dem Kirchenrecht kein Gottesdienst gehalten werden durfte. In der Pfarrei entwickelten sich zwei Parteien. Auf der einen Seite stand die Amtskirche mit den jeweiligen Ortspfarrern, ihren Mitbrüdern aus den Nachbargemeinden, dem Dekan und sogar dem Bezirksamt. Sie wollten St. Martin in Zimmern abreißen und in Urloffen, das auch politisch inzwischen zum Hauptort geworden war, eine neue Kirche bauen. Auf der anderen Seite schlossen sich hauptsächlich die Zimmerner Katholiken zusammen. Als ein Pfarrer das Gnadenbild aus dem durchziehenden Soldaten ausgesetzten St.Martin in die zweifellos geschützte Johanneskirche bringen lassen wollte, drohten Bürger aus Zimmern, diesen Schritt mit „bewaffneter Gewalt“ zu verhindern, und obsiegten.

Der Streit dauerte fast fünfzig Jahre, bis ihn ein neuer Pfarrverweser beendete, indem er sich an die Spitze der Volksbewegung stellte. Er, Pfarrer Ginshofer, muss eine charismatische Persönlichkeit gewesen sein, der gelegentlich wohl auch mit volkstümlichem Aberglauben seine Pfarrkinder zum richtigen Christentum brachte.

Sein Hauptanliegen war, die Zimmerner Kirche von dem Verbot, das auf ihr lastete zu befreien. Doch das Ordinariat zögerte, wohl durch die Verwaltungshierarchie dazu bewogen, Da reiste Ginshofer kurzerhand über den Rhein und bat den Bischof von Straßburg, die Filialkirche neu zu weihen. Und Bischof Andreas Raess kam in den fremden Sprengel und feierte mit vielen „Gestlichen aus Deutschland und Frankreich und einer ungeheueren Volksmenge“.

Die zuständige Behörde in Freiburg machte gute Miene zu den Vorgängen und nannte das Spie! wohl auch nicht böse, denn der Erzbischof schrieb Gingshofer einen freundlichen Brief, aber nach einem Vierteljahr wurde der Amtsverweser nach Wolfach versetzt.

Die Ereignisse in Zimmern brachten einen nachweisbaren Aufschwung für die Wallfahrt, der Höhenflug jedoch ließ sich auf die Dauer nicht durchhalten. Auch die Verehrung der Schmerzensmutter hing von Temperament und Theologie der Ortspfarrer ab. Dennoch war eine feste Basis aufgebaut. Jeden Freitag wurde ein Wallfahrtsgottesdienst gehalten, in der Fastenzeit auch mit Predigt. In den Wochen vor Ostern betete man eine besondere Andacht an Sonntagnachmittagen. Mittelpunkt der Marienverehrung bildete das Fest der Sieben Schmerzen Mariä, das am Freitag nach dem Passionssonntag mirt Amt und Predigt begangen wurde. Während die offiziellen Marienfeiertage in der neuen Kirche in Urloffen zelebriert wurden, scheinen die Gläubigen in Zimmern eher die ganz persönlichen Anliegen der Gottesmutter vorgetragen zu haben. Formulierungen wie „eine heilige Messe zu Ehren der Schmerzhaften Maria für ein Lebendes, für ein Presthaftes, für einen kranken Mann und eine kranke Frau, für eine bedrängte Familie, für einen in Amerika Verstorbenen, für die armen Seelen“ zeichnen die Intentionen aus. Es war daher nur folgerichtig, wenn die Gläubigen mit ihrer Kirche immer stärker die helfende Gottesmutter verbanden, und in der Praxis das Martinspatrozium, das ja 1835 auch von der neuen Urioffener Kirche übernommen wurde, zugunsten Marias zurückdrängten. Diese Entwicklung können wir auch in Alltagshandlungen nachweisen, wenn Handwerker auf ihren Rechnungen Maria-Hilfkirche vermerken, oder der Heiligenpfleger diese Bezeichnung im Fondsbuch, auch bei offiziellen Ausschreibungen im „ Badischen Beobachter“ verwenden.

Finanziell lebte die Zimmerner Kirche von Spenden, nachdem das Schauenburger Patronat auf die neue Kirche in Urloffen übertragen wurde und während der Revolution von 1848/49 erloschen war, und musste dabei nicht darben. Keinen Einfluss auf die Wallfahrt dürfte eine Maßnahme des badischen Staates gehabt haben, die tief in die wirtschaftliche Struktur der Zimmerner Kirche eingriff. Als während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die großherzogliche Verwaltung das Grundbuchwesen den modernen Gegebenheiten anpasste, wurden auch die Besitzverhältnisse neu aufgenommen. Dabei beanspruchte die politische Gemeinde, zunächst vom Pfarrer unwidersprochen, beide Martinskirchen als ihr Eigentum. Zwar bekam später die Pfarrgemeinde durch ein Gerichtsurteil die neue Kirche wieder zugesprochen, die Zimmerner aber blieb Liegenschaft der Kommune. Daher wurde auch die letzte große Restauration von 2008 von der Gesamtgemeinde Appenweier organisiert und bezahlt.

Es wurde oben schon daraufhin gewiesen, wie sehr die Marienverehrung in der Gemeinde von den persönlichen Vorstellungen der jeweiligen Seelsorger abhing. An einigen Beispielen soll diese These erläutert werden, wobei wir uns allerdings nur auf Äußerungen in den Verkündbüchern beziehen können. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges betreute Pfarrer Zapf die Gemeinde Urloffen. Er war ein sehr frommer Mann und seine Ansprachen an die Männer, die zur Wehrmacht eingezogen wurden, lebten von christlichem Verantwortungsbewußtsein, Realismus und großem Mut.. Aber er schien eine merkwürdige Scheu davor gehabt zu haben, Maria in diesen Notzeiten um Hilfe zu bitten, den Erzengel Michael dagegen schon und natürlich den Soldaten Martin.

Ganz anders sein Nachfolger, der Klosterpfarrer Beck aus Offenburg, nachdem Zapf an Ostern 1940 nach Ödsbach versetzt worden war. Beck bezog die Kirche in Zimmern stärker in das Gottesdienstangebot ein, besonders an Marientagen, gebrauchte die Bezeichnung Wallfahrtskirche wieder und hielt einige besondere Marienpredigten. Beck schien in der kurzen Zeit, die er in Urloffen arbeitete, eine Renaissance der Marienverehrung geglückt zu sein, denn sein Nachfolger Göppert stellte die Bitten an Maria ganz unter das Ziel, die immer schwerer werdenden Leiden des Krieges zu ertragen. Göppert führte am 15. September 1941 den zweiten Schmerzensfreitag in die Liturgie Urloffens ein, ein Schritt, der einen großen Zuwachs der Wallfahrer bedingte.

In den Jahren um das Kriegsende warb der Pfarrer von Urloffen bei seinen Mitbrüdern in den Nachbargemeinden für seine Wallfahrtsgottesdienste, zu denen er auch auswärtige Prediger einlud. Die Resonanz muss erheblich gewesen sein, denn 1954 ließ Pfarrer Ritzi eine Empore in die zu klein gewordene Kirche einbauen. Weil stilwidrig, nahm man sie nach einigen Jahren wieder heraus, obwohl während des 18. Jahrhunderts eine viel größere Bühne im Kirchenschiff eingefügt worden war.

Überblickt man die religiösen Angebote der Kirche in Zimmern während der letzten fünfzig Jahre, so wird man der Wallfahrt gerne das Prädikat „lebendig“ zugestehen. Immer wieder wählten junge Leute das Gotteshaus zum Ziel überörtlicher Zusammenkünfte. 1984 trafen sich 200 Ministranten „aus nah und fern“ zu einem Pontifikalamt mit Weihbischof Dr. Kalata, 1988 verbanden Jugendgruppen aus Appenweier, Renchen und Urloffen die beiden Martinskirchen mit einem Kreuzweg, heute noch beendet in Zimmern die Mitternachtsmesse am Heiligen Abend das Wallfahrtsjahr: Die örtliche Blaskapelle, die Singgemeinschaft und natürlich der Kirchenchor gaben Konzerte. Auswärtige, z.T. sehr renommierte Musikgruppen und Vokalensembles umrahmten Sonntagsgottesdienste und Maiandachten.

Als 2008 Pfarrer Karl Heinz Scheyerle in Urloffen das Amt übernahm, entwickelte er von diesem Fundament aus seine Vorstellung von Marienverehrung mit großem Eifer. Jeden ersten Sonntag im Monat hält er einen Wallfahrtsgottesdienst, jeden dritten Donnerstag betet er einen Sühnerosenkranz vor ausgesetztem Allerheiligsten und zelebriert danach einen Wallfahrtsgottesdienst mit Predigt. Am Freitag vor der Karwoche begeht die Gemeinde den ersten „Schmerzensfreitag“ und am 15. September den zweiten Gedenktag an die „Sieben Schmerzen Mariä“ Dieses Fest bezeichnet Pfarrer Scheyerle gerne als Patrozinium der Wallfahrtskirche. Dank seiner guten Verbindungen zu vorzüglichen Chören konnte er das gewohnte musikalische Programm wesentlich erweitern.

Literatur
Huber, Erich, Arnold: Dreizehnhundertjährige Heimat, Urloffen 1971.
Kauss, Dieter: Drei Feldkirchen in der südlichen Ortenau als Zeichen frühen Christentums, in Römische Quartalsschrift 68,1973.
Kurrus, Theodo: Zur Geschichte des Kirchleins in Zimmern, in: Appenweierer Heimatblatt 1978.
Maier Karl: Zur Geschichte des Kirchspiels Zimmern, in: Pfarrgemeinde Urloffen (Hg.) 600 Jahr Feier der Wallfahrtskirche Zimmern o.J.
Spengler, Siegfried: Wallfahrtskirche St.Martin Zimmern, Kleiner Kirchenführer, Faltblatt der Gemeinde Appenweier (Hg.).

Autor: Karl Maier